Aus dem Fotoarchiv von Reinhold Palm

Reinhold Palm fotografierte in den 1950er- und 1960er-Jahren an Orten, zu denen oft nur DB-Mitarbeiter Zutritt hatten. Den Strukturwandel bei der Deutschen Bundesbahn erlebte er hautnah. Aus der Sicht des Insiders sind überraschende Motive und besondere Ansichten entstanden – seine fotografische Sichtweise ist heute interessanter denn je. Bei Ausstellungen im In- und Ausland errang er mit seinen Fotografien zahlreiche erste Preise.
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Foto: Reinhold Palm

In den 70er-Jahren im Speisewagen bei einem fürstlichen Menü durch das Mittelrheintal zu fahren, während draußen die Burg Maus bei Wellmich vorbeizieht, das war dereinst noch problemlos möglich. Heute hingegen dürfte es auf diesem Niveau mangels Ange­bot kaum noch machbar sein. Die Speisen wurden damals noch frisch zubereitet, die Mikrowelle war erst auf dem Vormarsch. Die Dame in Rot wirkt in ihrem winterlichen Outfit ein wenig unnatürlich und irgendwie auch recht statisch.

Stöbern im Fotoarchiv von Reinhold Palm heißt abtauchen in eine längst vergangene Bundesbahnzeit. Wer wieder nur die klassischen Zugaufnahmen erwartet, könnte womöglich enttäuscht sein. Der Pressesprecher und Fotograf der DB-Hauptverwaltung in Frankfurt am Main pflegte nämlich eine sehr vielfältige Herangehensweise an die schier unerschöpflichen Möglichkeiten rund um die Eisenbahnfotografie. Seine Bildkompositionen wurden entscheidend von der potentiellen Wirkung auf den Betrachter bestimmt. Nicht umsonst war das Bundesbahn-Werbeamt ein besonders eifriger Abnehmer seiner Aufnahmen.


Die gezielte publizistische Verwendung der Fotografien, sprich die Veröffentlichung in den bundesbahneigenen oder fremden Druckmedien, stand stets im Vordergrund seiner Bemühungen. Was nicht heißen soll, dass sich Palm nicht auch an den Bahnsteig oder die Strecke stellte und einfach nur das ablichtete, was da des Weges kam, die Eisenbahnfotografie im klassischen Sinne praktizierend. Auch begleitete er allzu gern die von der Hauptverwaltung beauftragten Profifilmteams mit seiner Kamera. Apropos begleiten: Bei der legendären Fahrt des Weltmeisterzugs von 1954 entstanden beeindruckende Bilder, die überhaupt nur möglich waren, weil er immer exklusiv an derartigem Geschehen teilhaben durfte.


Neue Fahrzeuge wurden oft im von der DB-Hauptverwaltung bequem fußläufig erreichbaren Hauptgüterbahnhof dem Fachpublikum respektive den Medien präsentiert, und Palm war mit der Kamera dabei. Die Entwicklung der bundesbahneigenen Straßenfahrzeuge wurde ebenfalls ausgiebig im Bild festgehalten. So entstand im Laufe der Jahre ein beträchtlicher Bildbestand, der die innovative Schaffenskraft der frühen Bundesbahn eindrucksvoll dokumentiert.

Wenn man beim Blättern in diesem Bildband bedenkt, dass dieser einmalige Bilderschatz um ein Haar unwiederbringlich verloren gewesen wäre, wird die Tragweite um deren Erhalt deutlich – wohlgemerkt, hier handelt es sich um Bildmaterial eines Fotografen, der die Staatsbahn der alten Bundesrepublik Deutschland kraft seines Amtes wie kaum ein anderer quasi „an vorderster Front“ ablichtete. Seine Schwarzweißnegative sowie die Diapositive sollten zusammen mit unzähligen Papierabzügen schlicht entsorgt werden. Ein entsprechender Hinweis erreichte die damals noch in Fürstenfeldbruck ansässige Verlagsgruppe Bahn, woraufhin das Bildarchiv der Eisenbahnstiftung aktiv wurde und das Fotoarchiv von Reinhold Palm buchstäblich in letzter Minute retten konnte. Allerdings haben insbesondere die Diapositive, aber auch viele Negative aufgrund der jahrelangen unsachgemäßen Lagerung und Behandlung teilweise arg gelitten.


Eine regelrechte Herkulesaufgabe stellte die mit Bedacht vorgenommene digitale Aufarbeitung der mit roten Flecken übersäten Mittelformatdias dar, die offenbar schon vor langer Zeit Schaden genommen haben. Darauf lassen die Abbildungen des 1989 in der Franckh'schen Verlagshandlung erschienenen Titels „Die Frühe Bundesbahn – Eindrucksvolle Farb-Fotografien von Reinhold Palm“ von E. Palm- Baumann und Konrad Hierl schließen, die seinerzeit noch ohne Retuschen abgedruckt wurden.


Im Fotoarchiv von Reinhold Palm, das die Eisenbahnstiftung übernommen hat, befinden sich unter anderem auch zahlreiche, durchweg aus den frühen 50er-Jahren stammende Schwarzweiß-Mittelformatnegative des ehemaligen Direktionsfotografen der BD Frankfurt, Paul Trost. Verwendet wurden diese Aufnahmen im vorliegenden Titel freilich nicht. Dennoch kann sich womöglich das eine oder andere Motiv von Trost oder aber einem der anderen Direktionsfotografen unter die Palm-Fotos „gemogelt“ haben. Das Bildmaterial war bei der Übernahme überwiegend unbeschriftet, lediglich die Papierabzüge hatte Reinhold Palm konsequent mit seinem Urheberstempel versehen. Einzelheiten zu den dokumentierten Szenen mussten daher in akribischer Kleinarbeit ermittelt werden, was letztlich nur dank seiner unzähligen Bildveröffentlichungen in den einschlägigen Publikationen möglich war.


Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine kurzweilige und zuweilen emotionale Entdeckungsreise in die frühe Bundesbahnzeit.
Wachtberg, im September 2021
Udo Kandler

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